Nora Sausmikat (Dr. phil. habil.)

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Aufenthalt in Chengdu

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30 Jahre China

 

Wie China mein Leben wurde

China wurde meine zweite Heimat. Mein erster Sohn hat sein erstes Lebensjahr dort verbracht und ist später in Beijing zur Schule gegangen. Ich selbst lebte und arbeitete seit 1985 immer wieder in diesem Land, bereiste es ausgiebig und genoss die Vielfalt und das gute Essen. Am meisten aber fesselten mich die Menschen.

Die erste Begegnung mit China im Jahr 1985 war aufregend. Ich bereiste das gesamte Land, von Hongkong aus, über Land mit Zügen und Lastwagen über Guangdong, Guangxi, Guizhou, Sichuan, Tibet, Gansu, Shaanxi, Henan, Jiangsu, nach Beijing. Nie werde ich den Versuch vergessen, wie wir über Land per Anhalter nach Lhasa reisen wollten und drei Anläufe brauchten, da wir jedes Mal von der Volksbefreiungsarmee aufgehalten und zurückgeschickt wurden. Weiter als bis nach Batang im tibetisch-autonomen Bezirk Garzê im äußersten Westen Sichuans kamen wir nicht.

Schließlich kehrten wir um und reisten mit dem Zug in das nördliche Golmud, um dann weiter mit dem Bus über zwei Fünftausender bis nach Lhasa zu fahren. Damals gab es in Lhasa ein einziges chinesisches Hotel. Während wir in Sichuan noch freundlich lachend angestarrt wurden wie Außerirdische, wich diese Distanziertheit immer mehr je weiter wir in die tibetische Einöde drangen. Dort wurden wir in die Lehmhütten eingeladen, man servierte uns Tee, bat uns ans Feuer. In Gyangzê und Xigazê, fast an der nepalischen Grenze, durften wir sogar auf das Dach der Klöster, denn von dort aus hatte man einen wunderbaren Ausblick.

Es folgten in den darauffolgenden 30 Jahren unzählige Reisen, unzählige Begegnungen, Eindrücke, traurige und fröhliche Ereignisse. Natürlich gehört die Niederschlagung des Volksaufstandes 1989 zu den bitteren Erinnerungen. Den Mauerfall in Deutschland erlebte ich in China, das Ohr fest gepresst an den winzigen Weltempfänger. Die China Daily berichtete darüber in einer Randnotiz auf der letzten Seite.

Die Demonstrationen in Chengdu waren begleitet von informellen Debattierclubs. Wichtige „politische“ Themen waren Ästhetik und Philosophie. Amerikanische Gastwissenschaftler kamen an die Sichuan Universität und unterrichteten Amerikanisch-Chinesische Beziehungen. Ich unterrichtete Englisch in der Abendschule und kam so in Kontakt mit jungen Erwachsenen, die extrem wissbegierig waren. Unsere kleine Ausländerschar im „Pandahaus“, wie wir unser Ausländerwohnheim nannten, wetteiferte regelrecht darum, wer wann Chines*innen als seine Bekannte bezeichnen durfte. Es war nicht einfach, Kontakt aufzubauen, denn unsere Besucher mussten sich einer akribischen Registrierung im Pförtnerhäuschen unterziehen.

Abgesehen davon hatten ich und meine Kommiliton*innen insgesamt das Gefühl, dass sich die „Überwachung“ in Grenzen hielt. Das ist der große Vorteil der Naivität: man geht unbelastet und zunächst voller Vertrauen auf die Menschen zu. Eines Tages, als ich in mein winziges Wohnheim-Zimmer zurückkehrte, welches ich mir mit einer Japanerin teilte, saßen dort zwei wildfremde Chines*innen auf meinem Bett (es gab keine andere Sitzmöglichkeit), begrüßten mich radebrechend auf Deutsch und fingen sodann an zu singen: Sah ein Knab ein Röslein stehen……ich wusste nicht, wie mir geschah.

Ein anderes Mal machte ein junger Student sehr mutige Avancen und wollte partout, dass ich mir eine Heirat mit ihm überlege, denn in China sei es so Sitte, dass sich die Liebe erst mit dem Zusammensein einstellen würde, ich würde schon sehen.

Wir konnten uns trotz Gatekeeper unbeschwert mit unseren chinesischen „Freund*innen“ treffen. So kochte ich z.B. mit einer Lehrerin aus dem Englischdepartment mindestens einmal in der Woche in unserem Ausländerwohnheim den „Sichuan Huoguo 四川火锅“ (Feuertopf), mehr ein Happening. Für bestimmte Lebensmittel benötigte man Essensmarken, Teigwaren waren stark rationiert. Dennoch, der chinesische Gemüse- und Fleischmarkt am Hinterausgang der Universität bot Köstliches.

In dieser Zeit machte ich auch eine der schönsten Erfahrungen in meinem Leben: nach zwei Jahren Studium der Sichuanoper durfte ich im alten Teehaustheater der Stadt Chengdu meine Opernkünste aufführen. Außer mir gab es nur eine Amerikanerin, die dies zuvor gewagt hatte. Kopfstimme und Akrobatik. Das Fernsehen kam, Zeitungen schrieben über die Langnase im Theater. Ich war ein kleiner Star. Außerdem konnte ich bei den Proben der Brechtadaption „Der gute Mensch von Sichuan“ in der Sichuanoper dabei sein. Mein damaliger Opernlehrer Xiao Ting war der Regisseur des Stückes. Egon Krenz, der letzte Staatspräsident der DDR, kam damals zur Premiere nach Chengdu – unglaublich. Monate später gab es die DDR nicht mehr.

Das Massaker 1989 beendete diese offene Kultur. Fast alle Ausländer*innen hatten die Universität nach dem 4. Juni verlassen. Neben mir blieb nur noch eine Australierin in dem verlassenen Wohnheim zurück. Unsere Freunde und viele der Professor*innen verschwanden im Polizeigewahrsam. Ich flüchtete aus Chendgu, besuchte einen Freund in Xiamen. Während der Reise wurde ich Zeugin eines Landes im Aufruhr. Mitte 1990 kehrte ich schließlich nach Deutschland zurück, nach 2 Jahren intensivster Erlebnisse. Außerdem musste ich natürlich mein Sinologie-Studium zu Ende führen.

Diese beiden Erlebnisse prägten meine weitere Beschäftigung mit China. Nachdem mein Plan, meine Magisterarbeit zur chinesischen Brechtadaption zu schreiben, durch die Mitteilung, dass eine Freiburger Theaterwissenschaftlerin gerade ihre Abschlussarbeit zu genau diesem Thema fertig gestellt hatte, zunichte gemacht wurde, stürzte ich mich auf ein neues Thema. Die „nichtstaatliche Frauenforschung“ Li Xiaojiang‘s und das erste nichtstaatliche Frauenforschungszentrum in Zhengzhou fesselten mein Interesse. Ohne es zu wissen beschäftigte ich mich mit den ersten Knospen einer chinesischen Zivilgesellschaft.

Ich erinnere noch gut, wie erstaunt Xiaojiang war, als ich mit meinem hochschwangeren Bauch in Zhengzhou ankam. Ich interviewte Frauen zur bis dato kaum bekannten „Frauenschrift“ (女书) und machte keinerlei Anstalten, mich irgendwie zu schonen. In Xiaojiangs Reaktion bemerkte ich Bewunderung und zugleich Mitleid, denn gerade ihr war es ein Anliegen, das Recht auf „Weiblichkeit“ und damit auch auf Rücksichtnahme für spezifisch weibliche Befindlichkeiten durchzusetzen.

Aber der Kontakt mit Xiaojiang und Frauen ihres Alters öffnete meinen Blick für eine ganz spezifische Generation. In den Frauenzeitschriften, die ich untersuchte, gab es 1994 den Trend, Lebensgeschichten einer spezifischen Generation zu veröffentlichen. „Oral history“ war plötzlich in aller Munde, obgleich wenige so recht wußten, was das war. Das „Memoirenfieber“ brach aus, Erinnerungen an die Kulturrevolution mündeten in Ausstellungen. Ein wahrer staatlich geförderter, begeistert ausgelebter Erinnerungsboom.

Aber der Kontakt mit Xiaojiang und Frauen ihres Alters öffnete meinen Blick für eine ganz spezifische Generation. In den Frauenzeitschriften, die ich untersuchte, gab es 1994 den Trend, Lebensgeschichten einer spezifischen Generation zu veröffentlichen. „Oral history“ war plötzlich in aller Munde, obgleich wenige so recht wußten, was das war. Das „Memoirenfieber“ brach aus, Erinnerungen an die Kulturrevolution mündeten in Ausstellungen. Ein wahrer staatlich geförderter, begeistert ausgelebter Erinnerungsboom.

So kam es, dass mein erster Sohn sein erstes Lebensjahr am Weiminghu (Namenlos-See) in der Beijing University zubrachte.

Denn: Ich begann meine Doktorarbeit zur Erinnerungskultur zu schreiben. Die ersten fünf Jahre im Leben meines Sohnes waren fortan begleitet durch Reisen und zahlreiche Treffen mit Biografie- und Kulturrevolutionsforscher*innen.

Der biografische Blick prägte meine spezifische Herangehensweise an die chinesische Transformationsgeschichte. Durch den Fokus auf die Generation der Zhiqing und Rotgardisten verstand ich, welche Legitimitätskonzepte warum und wann eingesetzt wurden, um möglichst effektiv Generationsmythen zu verfestigen und gesellschaftliche Stabilität zu festigen.

Zur Einschulung meines Sohnes konnte ich dann endlich meine Dissertation abgeben – stolz und recht müde. Aber Pause war ein Fremdwort, dafür gab es zu viel Spannendes zu entdecken.

Die Forschungsstelle im DFG-Forschungsprojekt zu „Politischen Reform- und Demokratisierungsdiskursen“ in Ost- und Südostasien ebnete mir den Weg hinaus aus China, hinein nach Asien. Es begann erneut eine spannende akademische Reise, eine Reise in die Ideenwelt chinesischer, malayischer, japanischer, vietnamesischer Denker und Aktivisten. Am Rande interessierte mich natürlich auch, inwieweit die politischen Ideen biografisch beeinflusst waren. Ein großartiges Projekt, sehr schade, dass Projekte irgendwann einmal zu Ende gehen (müssen).

Einige Bücher und Artikel später – und im Rückblick für mich auch wieder logisch an die Demokratisierungsideen anschließend, wagte ich den Sprung in die Praxis – hinein in die Zivilgesellschaft. Zunächst über die Kunst, durch die Leitung des Beijing Case Fellowship Programms der Kulturstiftung des Bundes. Dann über mein „eigenes“ zivilgesellschaftliches Projekt. Mehr als eine Dekade widmete ich mein Herzblut dem Aufbau einer dialogischen China/Europa-Plattform innerhalb einer Stiftung, die sich selbst noch in einem grundlegendem Findungs- und Transformationsprozess befand. Es war wie stehend auf zwei Pferderücken zu galoppieren. Eine kraftaufreibende, auszehrende Erfahrung, die mich viel gelehrt hat und mich mit wunderbaren Menschen in Verbindung brachte. Nun wurde Politik gemacht, nicht mehr nur darüber geredet. „NGOs should not only work on but with China“, mein Wahlspruch in dieser Zeit.

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